Wie gestalte ich Management-Workshops? Ein Best-Practice-Beispiel für Organisationsfachberatung

Ausgangslage

                Unter den Eigentümern eines mittelständischen Konzerns bestehen nach einem gesellschaftsrechtlichen Umbau unterschiedliche Sichtweisen darauf, welche Aufgaben von der Holding und den Tochterunternehmen übernommen bzw. welche Zuständigkeiten von welchen Personen ausgeübt werden sollen. In einer Strategieklausur soll ein gemeinsames Verständnis diesbezüglich unter den Eigentümern hergestellt werden.

„Klarer Fall für eine `Dynamic Facilitation´“, denke ich mir. „Schließlich gibt es angeblich kein besseres Tool in der Organisationsentwicklung, um konfliktive Situationen durch einen kreativen, dynamischen, lösungsoffenen und zielorientierten Gruppenprozess zu lösen.“

Was ist eine Dynamic Facilitation?

Als Moderator eröffne ich die Klausur mit einer Vorstellungsrunde und erkläre den Ablauf für alle Teilnehmer. Der Workshop orientiert sich nicht an einer linearen Tagesordnung, die sukzessive abgearbeitet wird. Vielmehr handelt es sich um einen offenen, ungezwungenen Prozess, wobei der Moderator sämtliche Beiträge der Teilnehmer permanent auf vier Listen schreibt, die wie folgt betitelt sind:

  1. Herausforderungen:

Auf dieser Liste sammle ich alle Aussagen, die das zu lösende Problem beschreiben.

  1. Lösungsideen:

Auf dieser Liste halte ich alle denkmöglichen Vorschläge zur Zielerreichung fest.

  1. Bedenken

Wenn jemand aus dem Teilnehmerkreis mit einer Lösung nicht einverstanden ist, dann kommt das auf die Liste der Bedenken, Einwände, Vorbehalte, Verbesserungsvorschläge und Zweifel.

  1. Informationen

Zahlen, Daten, Fakten oder Bewertungen, welche die Teilnehmer beisteuern, werden auf dieser Liste festgehalten.

Ich nehme als Moderator eine dauerhaft fragende Haltung ein. Dadurch bewirke ich, dass der Fokus der Teilnehmer auf die vier Listen erhalten bleibt und der Prozess ressourcenorientiert abläuft.

Die Teilnehmer diskutieren nicht miteinander, sondern richten ihre Wortmeldungen an mich, d.h. sie kommunizieren indirekt über den Moderator. Der Zweck dieser Vorgehensweise liegt zum einen darin, dass etwaige Konflikte zwischen den Teilnehmern nicht eskalieren und eine entspannte, aber fokussierte Atmosphäre vorherrscht. Zum anderen kommt es zu einer strukturierten Entschleunigung, wodurch die Teilnehmer in eine reflektierende Haltung versetzt werden und alle Personen mit allen Inhalten zu Wort kommen. Während der Klausur nehme ich als Moderator die Rolle eines Katalysators ein, der die Teilnehmer bei der eigenverantwortlichen Suche nach jenen Lösungen unterstützt, die für sie passen.

Theorie vs. Praxis

Soweit das Lehrbuch. Aber was mache ich als Moderator, wenn sich meine Workshop-Teilnehmer bevorzugt mit ihren Problemen und Bedenken beschäftigen, anstatt sich potentiellen Lösungen zu widmen?

Nichts – sagen die Proponenten der Dynamic Facilitation. Wenn alle Herausforderungen, Bedenken und Informationen abschließend aufgezeigt wurden, ergäben sich die Lösungen von selbst. Der Moderator müsse dem Kunden lediglich Zeit geben, ohne selbst unterstützend einzugreifen. Er solle in seiner passiven Rolle verharren, um dem Kunden Raum für eine eigenverantwortliche und kreative Lösungsfindung zu geben.

Und genau dieses Szenario tritt in meinem Workshop ein. Meine Kunden kommen nicht aus ihrer defizitorientierten Problemschleife. Ich bekomme das Gefühl, im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ zu sitzen – die Teilnehmer betätigen andauernd die Reset-Taste und wälzen bereits bekannte Probleme, anstatt ziel- und lösungsorientiert zu arbeiten. Die Konfliktgräben werden tiefer, die Unzufriedenheit mit der eigenen Problembesessenheit wächst. Es wird emotionaler, Sündenböcke für das Dilemma werden gesucht, gegenseitige Schuldzuweisungen resultieren.

Und ich soll in dieser Situation als Moderator wirklich untätig bleiben? Dieses Spannungsfeld muss man erstens einmal aushalten können, und zweitens aushalten wollen. Können tu ich es vielleicht, aber wollen? Es entspricht nicht meinem Selbstverständnis als Berater, den Workshop den Bach runtergehen zu lassen und den Kunden ergebnisoffen auf dem Trümmerhaufen seiner zahlreichen Herausforderungen zurückzulassen.

Bevor die Teilnehmer durch den Wiederholungszwang ihres eigenen Problemdenkens in einem Sumpf versinken, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt, wechsle ich die Methode. „Vielleicht kann ich den Workshop mit einer Art „Design Sprint“ retten?“, überlege ich. „Immerhin sind meine Kunden Techniker – vielleicht können sie damit was anfangen? Für Männer im mittleren Alter, für die Kooperation und Sozialkompetenz Fremdwörter sind, musst du dir etwas anderes einfallen lassen.“

Gesagt, getan. Ich unterbreche den Workshop und verordne meinen Teilnehmern eine „Stillbeschäftigung“. Sie bekommen 30 Minuten Zeit, eine Präsentation für die Lösung ihrer organisationalen Dilemmata zu entwerfen. Die Präsentation ist zwar an die anderen Teilnehmer gerichtet, fokussiert allerdings ausschließlich auf den Kundennutzen der aufgezeigten Lösungen. Der Kreativität werden keine Grenzen gesetzt. Plötzlich geht die Post ab: eifrig, ja besessen gehen meine Teilnehmer zu Werke. Die Aktivierungsübung wirkt.

Nachdem die Teilnehmer ihre Lösungen in einem kurzen Zeitfenster von 5 Minuten präsentiert haben, werden die Ergebnisse an den Wänden des Seminarraums sichtbar gemacht. Abschließend erhalten alle Teilnehmer zwei Kartonkärtchen: ein großes rotes mit der Aufschrift „Mag ich“ und ein kleines weißes mit der Aufschrift „Mag ich nicht“. Die Teilnehmer gehen im Raum umher und bewerten alle Präsentationen mit diesen Kärtchen. Transparent für alle, aber im Stillverfahren.

Nach der Bewertung fasse ich als Moderator die Ergebnisse zusammen. Ich präsentiere den kleinsten gemeinsamen Nenner, also diejenigen Lösungselemente, die für die Mehrheit der Teilnehmer anschlussfähig sind. Ich zeige abweichende Meinungen auf, die nicht mehrheitsfähig sind. Ich bereite meine Zusammenfassung optisch auf, indem ich die präsentierten Lösungen zu Lösungsclustern zusammenfasse und mit den ihnen zugeordneten „Mag ich“/„Mag ich nicht“ - Kärtchen versehe. Solcherart erhalten die Teilnehmer einen Überblick über ihre Handlungsoptionen sowie deren Proponenten und Opponenten – in Farbe und 3D. Daraus lässt sich ableiten, wo die Bruchlinien zwischen den Teilnehmern verlaufen und welche Allianzen geschlossen werden können, um diese zu kitten. Allerdings wird auch sichtbar, wer sich mit seinem Lösungsvorschlag ins Out manövriert hat. Wie damit umzugehen ist, muss jeder für sich klären. Einige dieser „Outlier“ werden sich überlegen müssen, ob sie am Ende des Tages nicht vielleicht aus dem Eigentümerkreis ausscheiden.

Resüme

Lösungsoptionen aufgezeigt? Check (wenn auch nicht mittels Dynamic Facilitation).

Konfliktpotential eingedämmt? Zumindest für die Dauer des Workshops.

Kunden zufrieden? Naja. Der positive Ausgang des Workshops stärkt die Selbstwirksamkeit der Gruppe – man hat doch gemeinsam etwas geschafft. Unter den Oppositionellen ist allerdings auch Trauer zu spüren. Einige Teilnehmer sind verzagt, denn sie wissen: jetzt geht´s an die Umsetzung der Lösungsoptionen. Nach dem Workshop ist vor dem Workshop.

Innerhalb von 48 Stunden stelle ich den Teilnehmern eine Zusammenfassung des Workshops zur Verfügung, wobei ich die erarbeiteten Lösungsoptionen aus unternehmensrechtlicher und managementtheoretischer Sicht bewerte ("Organisationsfachberatung"). Meine fachberaterischen Anmerkungen sind die Brotkrumen, die die Kunden aus dem Wald der 100 Flipcharts herausführen. Ich möchte sie schließlich nicht desorientiert wie Hänsel und Gretel zurücklassen, sondern ihnen einen gangbaren Pfad aufzeigen. Gehen müssen sie ihn selbst.

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