Wer macht bloß den Kartoffelbrei auf die Gemälde?

Warum schmeißen unsere Kinder mit Kartoffelbrei auf Gemälde? Warum kleben sie sich auf der Straße fest? Warum haben Unternehmen einen Arbeitskräftemangel? Die Antwort liegt – in unseren Bildungsinstitutionen.

Neulich im Vorlesungssaal einer österreichischen Bildungseinrichtung. Eine amerikanische Ethikerin und Juristin hält eine Lehrveranstaltung ab. Thema? Wirtschaftsethik, Corporate Purpose. „Interessant“, denke ich mir, „das hörst du dir an.“

Auf das, was ich in den nächsten 90 Minuten zu hören bekomme, bin ich allerdings nicht gefasst. Mit einer vor Selbstgerechtigkeit bebenden Stimme hob die Kollegin zu einer Nonstop-Schimpftirade auf „Big corps“ (Großkonzerne) an. Folgende Gemeinplätze aus dem Vortrag sind mir in Erinnerung:

“Corporate Purpose consists of maximizing shareholder value”. (Übersetzung: „Die wollen alle nur Kohle machen.“ Die Vorlesung kommt allerdings mindestens 10 Jahre zu spät – das Shareholder Value Konzept liegt bereits lange am Müllhaufen der Geschichte.)

“`Greed is good´ is the only creed big corps know.” (Übersetzung: „Die wollen echt alle nur Kohle machen.“ Zumindest in Europa unterstelle ich den meisten Unternehmen mittlerweile ernsthafte Nachhaltigkeitsbemühungen. Eine tiefe Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens bedarf jedoch Zeit, und nach den Forschungserkenntnissen zur Wissensimplementierung müssen wir von einem langfristigen Prozess ausgehen, der vielleicht sogar eine ganze Generation dauern wird. Die Wirtschaft als habgierig zu beschimpfen, wird diesen Prozess nicht beschleunigen.)

„A CEO´s sole purpose is to make money for his shareholders.” (Übersetzung: „Wirklich – es geht immer nur um Kohle für die Reichen!“ Aus juristischer Sicht ist dazu festzuhalten: Entscheidungsträger haben ihr Handeln am besten Interesse ihrer Gesellschaft auszurichten. Darunter ist die dauerhaft erfolgreiche Verwirklichung des Unternehmenszwecks zu verstehen - und eben nicht die kurzfristigen Renditewünsche der Gesellschafter. Dies wäre eine grobe Pflichtverletzung, die bereits vielfach gerichtlich geahndet wurde. Dass der implizite und ausschließliche Unternehmenszweck vieler US-Unternehmen darin besteht, für seine Aktionäre Kohle zu generieren, mag zutreffen. Für europäische Unternehmen verneine ich dies generell.)

“Annual reports are full of lies”. (Übersetzung: „Die lügen alle“. Zugegeben: finanzielle Fehldarstellungen in Konzernbilanzen haben mit der Finanzkrise nicht aufgehört, und Greenwashing/Socialwashing ist ein Problem. Aber ehrlich – ist dieses Problem nicht auch das Resultat eines ausufernden Aktivismus und immer restriktiverer Nachhaltigkeitsanforderungen? Angesichts dessen steht zu befürchten, dass Unternehmen in den Augen der kritischen Öffentlichkeit und aufgrund der zunehmenden Regulierung stets als unzulänglich und reformbedürftig angesehen werden.)

Wen wundert es angesichts der Äußerungen dieser Lektorin noch, dass junge Menschen der Wirtschaft misstrauisch und ablehnend begegnen? Hätte ich mit den Studierenden meiner Vorlesung „Werte in der Arbeitswelt“ in den letzten Jahren einen Misstrauensindex erstellt, wäre der jetzt wohl auf einem „all-time high“. Äußerungen von Führungskräften aus Politik und Wirtschaft werden heute so kritisch beaugapfelt und „gedisst“ wie schon lange nicht mehr.

“Big business must always put stakeholder interest first.” (Der immaterielle Nutzen einer Investition für betroffene Anspruchsgruppen soll demnach Vorrang vor einer Renditerechnung haben. Wenn sich Unternehmen nur mehr darum kümmern, wessen angebliche Rechte sie eventuell verletzen könnten, hat Marx obsiegt und keiner verdient mehr irgendeine Kohle. Dann ist die westliche Wirtschaftswelt am Arsch, und China lacht).

Nachdem sich die Lektorin mit hysterischer Stimme derart in Rage versetzt hat, hebt sie – dem Nervenzusammenbruch nahe – zu einem heroischen Selbstbekenntnis an:

“I will dedicate my whole life to bring Shell [Anm.: den Ölkonzern] down.” (Das klingt definitiv nach „Ich werde sie alle vernichten.“ Da hat jemand nicht nur seinen Purpose als Lehrende gefunden, sondern auch einen inneren Auftrag als Aktivistin mit Hang zum Drama. Ein Vorbild für Studierende?)

Danach geht´s an die Aufgabenverteilung für die Studierenden:

“I will give you a challenge, and whoever masters it, I will buy 4 hours of alcohol consumption” (!). (Kein weiterer Kommentar.)

Zugegeben: nach dieser Vorlesung verspüre auch ich ein starkes Bedürfnis nach einem doppelstöckigen Whisky. Ist das die neue universitäre Lehre? Ist das die Vermittlung evidenzbasierten Wissens, dessen sich die Universitäten so rühmen? Dieser Vortrag setzt sich zusammen aus persönlichen Befindlichkeiten, pauschalen Verunglimpfungen und einer Powerpoint-Präsentation aus Zeitungsschnipseln, die beweisen sollen, wie „bad“ die Großkonzerne sind.

Verstört packe ich zusammen und schleiche gesenkten Hauptes aus dem Vorlesungssaal. Werde ich mich jemals wieder zu erwähnen trauen, dass ich Purpose-Workshops anbiete? Wird man mir jemals wieder glauben, dass Ethik reflektiert, bewertungsfrei und differenziert unterrichtet werden kann? Ich hoffe jedenfalls, dass mein aktuelles Buch Spannungsfelder im Topmanagement - Ein Praxisleitfaden für gute Corporate Governance diesen Standards entspricht.

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Mag. Christoph Dietrich KLARE. ANSAGEN. Unternehmensberatung

Werteorientierte Unternehmensführung und Corporate Governance

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