Diversität ist Kopfsache (2)

„Wie kriegen wir mehr Frauen in die Vorstandsetagen?“; „Immer noch zu wenige Aufsichtsrätinnen in DAX-Konzernen“; „Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert“. Du kennst diese Schlagzeilen. Egal, ob du Zeitungen aufschlägst oder dich in dein LinkedIn-Account einloggst, sie plärren dir entgegen. Immer öfter. Immer heftiger. Immer verzweifelter. Du bekommst das Gefühl, dass sich nichts tut an der Diversitätsfront. Und das, obwohl das Thema nun schon jahrzehntelang breitgewalzt wird. Obwohl es mittlerweile Gesetze gibt. Obwohl auch männliche Führungskräfte auf den Zug aufgesprungen sind.

`Steter Tropfen höhlt den Stein´, sollte man meinen. Wenn die Buschtrommel nur oft genug Nachrichten verbreitet, werden sie irgendwann mal wahr und Wunschvorstellungen gehen in Erfüllung. „Mitnichten“, erklärt mir eine kluge Psychotherapeutin. „Der Ruf nach mehr Frauen ist ein Appell, der ungehört verschallt. So ist das nun mal mit Appellen – sie gehen bei einem Ohr rein, beim anderen raus. Dazwischen? Zero Impact.“ Warum das so sei, frage ich verwundert. Meine Gesprächspartnerin antwortet darauf: „Appelle gebieten im besten Fall ein logisches Handeln. Im schlechtesten Fall jedoch sind sie derart plakativ formuliert, dass der Empfänger damit nichts anzufangen weiß. Er versteht nicht, warum er sein Denken und Handeln nach dem Appell ausrichten soll. Er ändert sein Verhalten nur, wenn er eine Botschaft erhält, die ihn emotional abholt und das gebotene Verhalten mit Sinn erfüllt.“

Aha, verstehe. Meine Gesprächspartnerin meint also vielleicht, dass die Forderung nach Frauen in Führungsetagen zu einer sinnentleerten Floskel verkommen sei, die die Inhaltstiefe eines Wahlplakats aufweise. Sie meint, es müssten die Gründe dargelegt werden, warum es Frauen als Leader bräuchte. Frauen verfügen schließlich über ein anderes Skills Set als Männer und verändern den Kompetenz-Mix in Unternehmensgremien vorteilhaft. Doch - stimmt das?

Meine Gedanken driften ab. Ich denke zurück an meine Studie Werte in der Arbeitswelt, in der ich versucht habe, einige geschlechtsspezifische Unterschiede in arbeitsrelevanten Eigenschaften und Fähigkeiten herauszuarbeiten. Unzweifelhaft lassen sich solche Unterschiede feststellen, dennoch bin ich mittlerweile skeptisch. Allen Studien zum Trotz ist es doch nicht fair, zu behaupten, dass Frauen genau so seien und Männer genau anders. Noch viel unfairer erscheint mir, Recruiting-Strategien für Top-Positionen daran auszurichten. In meiner Praxis kommen mir schließlich viele weibliche Führungskräfte unter, die über weniger Sozialkompetenz, dafür aber über einen weitaus stärkeren Machtinstinkt und narzisstische Persönlichkeitsmerkmale verfügen als ihre männlichen Kollegen.

Diversität in der Unternehmensführung bedeutet daher nicht notwendigerweise mehr Frauen und weniger Männer. Diversität hat wenig mit primären Geschlechtsmerkmalen zu tun. Diversität ist Kopfsache, d.h. Kandidaten müssen über eine Vielfalt an einschlägigen Werthaltungen und über ausgewogene Skills verfügen. Welche Werthaltungen meine ich? Neugierde, Offenheit, Aufgeschlossenheit, Gemeinsamkeit, Zusammenarbeit oder Ko-Kreation wären hilfreich. Sicherlich fallen dir weitere Werte ein. Welche Skills meine ich? Mir fallen beispielsweise die sogenannten „persönlichen Kompetenzen“ ein. Das sind jene, die einem Menschen zu einem selbstbewussten Auftreten und zu einer unbeeinflussten, unvoreingenommenen Urteilsbildung verhelfen. Persönliche Kompetenzen können wir durch Selbstreflexion ausbauen - also durch die Fähigkeit, mit unseren Gedanken allein zu sein, um uns in Beziehung zu unserem Umfeld zu setzen und daran zu wachsen. Selbstreflexion verleiht Stärke - und die braucht man, wenn man Diversität im Wirtschaftsleben vertreten will.

Wenn du starke persönliche Kompetenzen besitzt, bist du ein denkender Mensch, der weiß, was er will und wie er es aus eigenem Antrieb erreicht. Du erkennst, welche Fähigkeiten du besitzt und welche dir fehlen. Du merkst, worin die Stärken deines Unternehmens liegen und welche Skills benötigt werden, um das Unternehmen noch erfolgreicher zu machen. Stell dir vor, du bist Aufsichtsratsvorsitzender und von Kollegen umgeben, die ihrer Funktion weder fachlich noch persönlich gewachsen sind. „Nickesel und Ja-Sager“, denkst du resigniert. Du brauchst dringend einen Finanzexperten mit analytisch-methodischen Fähigkeiten, und einen Prüfungsausschuss, der mit dem Vorstand in den Ring steigen kann. Ein neuer Marktvorstand mit einem besseren Branchennetzwerk wäre auch nicht schlecht.

Du suchst Kandidaten, und es ist dir Wurst, ob du einen Mann, eine Frau oder einen Alien findest - solange die Kandidaten jene komplementären Kompetenzen mitbringen, die das Wohl deines Unternehmens fördern. Du musst in deiner Organfunktion schließlich im besten Interesse der Gesellschaft handeln. Könnte es vielleicht sein, dass Quotenregelungen mit diesem Erfordernis kontrastieren? Dass sie Organträger in einen Zielkonflikt bringen? Was tun, wenn ein Nicht-Mann nur die zweite Wahl ist?

Diversität heißt Kompetenzvielfalt. Lasst uns doch bei der Personalsuche primär auf die Werthaltungen und Kompetenzen achten, die die Kandidaten mit sich im Kopf herumtragen. Wer sich mit Recruiting beschäftigt, weiß: das ist beileibe keine „tick-the-box“ Übung. Das ist tiefschürfende Arbeit. Eine Analyse mit dem Werte-Assistenten kann hilfreich sein.

PS:

Diversität ist nicht der einzige Eckpfeiler werteorientierter Unternehmensführung. Für Interessierte: "Spannungsfelder im Topmanagement - Ein Praxisleitfaden für gute Corporate Governance" ist im September 2022 neu erschienen. Gute Einsichten bei dieser Lektüre wünscht,

 

Christoph Dietrich

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