Das Quereinsteiger-Mindset

Jeder spricht über Home Office – keiner spricht über Quereinsteiger. Sozialwissenschaftler prognostizieren, dass in 2030 acht Millionen Arbeitsplätze in Deutschland nicht besetzt werden können. Andere behaupten, dass uns demographische Veränderungen 20% unseres BIP kosten könnten. Schieben wir mal die Pandemie auf die hintere Herdplatte und widmen uns diesem wichtigen Zukunftsthema: Was brauchen wir für ein Mindset, um den Nachfrageüberhang in jenen Branchen decken zu können, die mit Wachstumsaussichten aus der Rezession hervorgehen werden?

Was für ein Mindset brauchen Arbeitnehmer, um als Quereinsteiger reüssieren zu können?

Zuerst mal eine Begriffsdefinition: Die Quereinsteiger, die wir hier besprechen, sind Menschen, die eine bewusste Entscheidung treffen, ihre Karriere in eine völlig neue Richtung zu drehen. Mögen sie auch ein Stück weit von Notwendigkeit oder Opportunismus getrieben sein, so sind sie doch hauptsächlich entschlusskräftige Sinnsucher und beherzte Sinnfinder. Sie kommen durch kognitive Selbststeuerung zur Entscheidung, dass ein neuer Weg für sie der richtige ist. Das unterscheidet sie von Job Hoppern, die orientierungslos von einem Job zum nächsten hüpfen, in der vagen Hoffnung, dass er ihnen besser gefällt. Jene Menschen lassen sich eher von ihren Emotionen treiben, als dass sie die Landkarte ihres Lebens selbst zeichnen. Und nein – wir sprechen hier auch nicht von Quereinsteigern in die Politik, obwohl das dieser Tage in Österreich ein aktuelles Thema wäre. Diese Menschen fallen wohl eher durch ihre „Stück-vom-Kuchen-Mentalität“ und rücksichtslosen Narzissmus auf – mit Eigenschaften also, die wir in Zukunft in der Arbeitswelt nicht sehen wollen.

Welche Motivatoren, Emotionen und Werte sind für Quereinsteiger hilfreich?

Quereinsteiger verfügen über Abenteuerlust und Unternehmertum. Auch Experimentierfreude ist kennzeichnend für sie – klar, denn sie experimentieren bis zu einem gewissen Grad an sich selbst. Dafür braucht´s Mut, und auch Selbstvertrauen, denn ohne „Ich-Stärke“ lässt sich ein U-turn in der Karriere nicht bewerkstelligen. Für die Operation am eigenen Herzen sollte die Hand nämlich möglichst nicht zittern. Wenn Quereinsteiger mal in ihrem Wunschjob gelandet sind, benötigen sie Wachheit, Aufnahmebereitschaft und Aufgeschlossenheit, um sich auf dem neuen Planeten zu orientieren. Standfestigkeit und innere Balance sind vorteilhaft, um nicht von einem unerwarteten Windstoß aus unbekannter Richtung umgepustet zu werden. Um sich am neuen Planeten etablieren zu können, braucht´s auch Eigenschaften, die ein bisschen in Vergessenheit geraten sind: Unermüdlichkeit, Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit (s. dazu die Nachlese zu meinem dbzgl. Workshop). Durchsetzungskraft kann hilfreich sein, wenn sich Quereinsteiger in einem argwöhnischen oder ablehnenden Umfeld behaupten müssen. Quereinsteiger bringen Entschlossenheit und Spontaneität mit, benötigen allerdings auch Taktgefühl, um die Menschen in ihrer Umgebung mit diesen Eigenschaften nicht zu überfordern. Vom erwünschten Quereinsteiger zum unbequemen Querdenker ist es nämlich nur ein kleiner Schritt, der einen schnell ins Abseits rutschen lassen kann. Empathievermögen ist daher gefragt, um zu ergründen, wieviel Andersartigkeit die Organisation verträgt. Quereinsteigern wird Frische, Unverbrauchtheit und Wendigkeit zugeschrieben – Eigenschaften, die beim Stammpersonal oft vermisst werden. Gerne werden sie daher instrumentalisiert, um Veränderung zu beschleunigen – Quereinsteiger als Brandbeschleuniger, sozusagen. Ehe sie sich´s versehen, führen sie dann einen Zweifrontenkrieg zwischen Vorgesetzen und Stammpersonal – aus dieser Situation wieder heil rauszukommen, ist tricky. Wir erinnern uns: der Brandbeschleuniger verbrennt immer zuerst. Um dem vorzubeugen, ist es für Quereinsteiger besonders wichtig, vor Dienstantritt die Erwartungshaltungen abzuklären.

Wie sieht nun das Kompetenzprofil von Quereinsteigern aus? Fachkompetenz bringen sie keine mit – klar, denn sie kommen ja von einem anderen Planeten. Dieses Manko machen viele durch überdurchschnittliche Handlungsbereitschaft und Tatkraft wett. Um nachhaltig bestehen zu können, brauchen Quereinsteiger allerdings ein hohes Maß an persönlicher Reife, „Ich-Kompetenz“ und sozialen Fähigkeiten.

Was für ein Mindset brauchen Führungskräfte, um mit Quereinsteigern zurechtzukommen?

Damit man das Beste aus Quereinsteigern rausholt, brauchen sie Orientierung am neuen Planeten. Führungskräfte sind daher vor allem kommunikativ gefordert. Orientierungsgespräche mit Quereinsteigern haben zweierlei Vorteile: Erstens werden Führungskräfte dazu verhalten, über die eigene Organisation zu reflektieren, und zweitens eröffnet sich die Möglichkeit, eine ungefilterte Außensicht mit wertvollen Impulsen zu erhalten. Wer Quereinsteiger holt, muss ihnen auch Raum geben: Offenheit, Geduld und Gelassenheit sind vonnöten, denn Quereinsteiger setzen Interventionen – und die können zuweilen recht strapaziös sein für das organisationale Nervenkostüm. Führungskräfte müssen die Torpfosten daher zunächst weiter auseinanderstellen, um den Quereinsteigern die Möglichkeit zu eröffnen, den Ball einzunetzen. Micromanagement hingegen ist wenig hilfreich – Quereinsteiger würden dies als Knebel empfinden, und den organisationalen Garten nicht befruchten, sondern weiterziehen.

Was muss eine Unternehmenskultur bieten, um für Quereinsteiger attraktiv zu sein?

Unternehmen, die über eine Gestaltungskultur verfügen, sind sicherlich im Vorteil gegenüber denjenigen, die eine Verwaltungskultur verinnerlicht haben. Wir erinnern uns: Quereinsteiger sind tendenziell unternehmerische Menschen. Sie brauchen daher ein Umfeld, das ihrer Umsetzungskompetenz einen kreativen Freiraum lässt. Quereinsteiger sind möglicherweise impulsiv und spüren einen Erneuerungsdrang. So radikal sie ihre Karriere ändern, so radikal gehen sie auch mit ihrem beruflichen Umfeld um. Beseelt von der Vorstellung, mal was ganz Neues zu unternehmen, verlangen sie mit der größten Selbstverständlichkeit, dass ihr berufliches Umfeld diesen Weg mitgeht. Quereinsteiger kommen rasch vom Denken ins Tun – soll heißen: sie kommen rasch von ihrem Denken in ihr Tun, ohne zu bedenken, dass die Organisation vielleicht anders tickt. Vonseiten des Arbeitgebers braucht´s also Geduld, damit sich die Andersartigen das innerbetriebliche „How-to“ und das fachliche Rüstzeug aneignen. Darüber hinaus braucht es „Ambiguitätstoleranz“ – die Fähigkeit, mit der Gegensätzlichkeit der Quereinsteiger im Vergleich zur eigenen Organisation umzugehen. Anstatt die „Aliens“ mit brüsken Statements wie „So machen wir das hier nicht“ abzuwimmeln, sollten ihre Vorschläge differenziert betrachtet werden: „Vielleicht ist diese Vorgehensweise nicht für das gesamte Unternehmen gut. Aber es lassen sich doch sicherlich Spielwiesen finden, wo man das mal ausprobieren könnte.“ Streng reglementiertes Arbeiten und penibel dokumentierte Arbeitsprozesse riechen förmlich nach Unveränderlichkeit und kommen Quereinsteigern in aller Regel nicht entgegen. Regulierte Branchen wie Banken und Versicherungen, oder Unternehmen des öffentlichen Sektors tun sich daher eher schwer, Quereinsteiger anzuziehen oder zu halten. Das gleiche gilt für traditionelle Unternehmen, die patriarchalisch-autokratisch geführt werden. Diese Unternehmen werden im Post-Covid-Aufschwung vor schwierigen organisationalen Herausforderungen stehen.

Was fällt dir zu diesem Thema ein? Vielleicht ist dir die Studie "Werte in der Arbeitswelt 2020" eine Inspiration…

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