Wie bereits in Teil I dieser Serie, stelle ich euch im Folgenden einige Gesprächstipps vor, um den Werthaltungen, Eigenschaften, Kompetenzen und Verhaltensweisen eurer BewerberInnen auf die Spur zu kommen. Bei den nachfolgenden Recruiterfragen handelt es sich um die laut LinkedIn „beliebtesten Fragen, die in Bewerbungsgesprächen gestellt werden“. Ich habe diese Fragen nach Werten geblockt und aus der Sicht eines Werte- HR-Beraters kommentiert. Lest auch gerne meinen Beitrag zu werteorientiertem Recruiting oder probiert den Werte-Assistenten aus – vielleicht wollt ihr ihn in eurem Unternehmen einsetzen.
Block 1: Persönliches Wachstum/Ehrgeiz/Zielstrebigkeit/Motivation
„Nennen Sie mir eine Situation, in der ein Problem in Ihrem Arbeitsumfeld aufgetreten ist und Ihr Vorgesetzter nicht erreichbar war. Was haben Sie getan? Wen haben Sie um Rat gefragt?“
Diese Frage will die Eigenverantwortlichkeit der KandidatInnen testen. Entwickeln sie Initiative, wenn´s brenzlig wird? Werden sie kreativ? Halten sie die Hierarchie ein? Oder verstoßen sie gegen Kompetenzgrenzen? Werden sie allein tätig oder in Abstimmung mit anderen? Es geht also auch um Sozialkompetenz und die Fähigkeit, „lateral“ zu führen – ich würde daher die KandidatInnen nicht präjudizieren, indem ich frage, wen sie um Rat gefragt haben.
„Was würde Sie motivieren, zu uns zu wechseln?“
Eine einfache, offene Frage, um herauszufinden, ob die BewerberInnen ihre Motivatoren kennen und euer Unternehmen diese Motivation bieten kann.
„Wann und warum haben Sie Ihren Vorgesetzen um Feedback ersucht?“
Diese Frage soll laut LinkedIn ergründen, ob die KandidatInnen an sich arbeiten und sich verbessern wollen. Dafür scheint mir diese Frage ungeeignet. Ich wüsste auch nicht, was gut daran sein soll, MitarbeiterInnen zu haben, die fortwährend Feedback einholen. Diese Verhaltensweise spricht nach meiner Meinung eher für geringes Selbstvertrauen, wenig Eigenständigkeit und geringe Handlungsbereitschaft. Wer braucht schon defizitorientierte Angestellte? Ich würde stattdessen fragen: „Wie (oft) haben Sie sich mit Ihrem Vorgesetzten ausgetauscht?“ oder „Wieviel Feedback brauchen Sie, um gut arbeiten zu können?“
„Was ist das größte Karriereziel, das Sie bisher erreicht haben?“
Sind die KandidatInnen stolz, selbstzufrieden, angeberisch? Übertreiben sie? Passt die Antwort zum Lebenslauf? Geeignete Ergänzungsfragen wären etwa „Was hat das [Erreichen des Karriereziels] mit Ihnen gemacht?“ oder „Wie haben Sie sich damals gefühlt?“. Versucht aus den Antworten rauszuhören, ob eure GesprächspartnerInnen auf ihre eigene Leistung verweisen oder auch anderen Teammitgliedern „credit geben“.
Block 2: Selbstorganisationsfähigkeit/Eigenständigkeit
„Gab´s einmal eine Situation, in der Sie mehrere Projekte gleichzeitig jonglieren mussten? Wie sind Sie damit umgegangen?“
Haben sich die KandidatInnen „To do – Listen“ angefertigt? Haben Sie Erfahrung mit Projektmanagement-Tools gesammelt? Haben sie sich selber etwas überlegt oder auf vorhandene Ressourcen zurückgegriffen? Einzelkämpfer oder Teamplayer? Delegationsfähig? Ich halte das für eine gute Frage, um wichtigen personalen und handlungsbezogenen Kompetenzen auf die Spur zu kommen.
„Beschreiben Sie mir eine Situation, in der Sie unter großem Stress gelitten haben. Wie sind Sie damit umgegangen?“
Hört in die BewerberInnen hinein, wie sie sich geholfen haben. Haben sie´s selbst versucht? Haben Sie Hilfe von anderen angenommen? Haben sie eher kognitiv reagiert (mit logisch-planvollem Denken) oder haben sie sich von ihren Emotionen leiten lassen? Eine ähnliche Frage, mit der ihr die Außensicht von Vorgesetzten und KollegInnen auf die KandidatInnen ergründen könnt, wäre: „Haben Sie jemals Feedback von anderen Personen auf Ihren Arbeitsstil in Stresssituationen erhalten?“
„Können Sie mir ein Beispiel geben, wie Sie eine wichtige Aufgabe erfolgreich delegiert haben?“
Von dieser Frage halte ich wenig. Ihr gebt den KandidatInnen damit vor, was genau ihr hören wollt – und das bekommt ihr dann wahrscheinlich auch erzählt. Im Übrigen erfahrt ihr möglicherweise weniger über das Delegationsvermögen eurer GesprächspartnerInnen, als über deren Selbstvertrauen (zB „Ich war noch nie in einer Position, in der ich delegieren durfte.“) oder Sozialkompetenz (zB „Meine KollegInnen tun mir gerne mal einen Gefallen.“). Ich bevorzuge Fragen wie zB „Was machen Sie, wenn Sie eine Ihnen übertragene Aufgabe nicht (zeitgerecht) fertigstellen können?“.
„Wie finden Sie heraus, in welcher Zeit eine Aufgabe angemessen erledigt werden kann?“
Ich halte diese Frage einerseits für verwirrend, andererseits für nicht besonders praxisnah. Wie viele MitarbeiterInnen gibt es, welche die Zeitleiste für ihre Projekte selbstständig bestimmen können? Ich würde folgende Frage vorziehen: „Wie sind Sie denn in der Vergangenheit an die Planung ihrer Projekte herangegangen?“ Diese Fragestellung ist offen und lässt eine breite Palette an Antwortmöglichkeiten zu.
Behavioristische Recruiterfragen versuchen, anhand von realen Beispielen aus der Arbeitswelt der KandidatInnen zu erfahren, wie sie wirklich sind. Sie haben durchaus ihre Berechtigung, denn auch wenn BewerberInnen gut auf derlei Fragen vorbereitet sind, so ist es doch schwer, sich bei realistischen Schilderungen aus dem eigenen Leben zu verstellen. Kommt jedoch nicht in Versuchung, euren GesprächspartnerInnen – wie oben aufgezeigt – bestimmte Verhaltensweisen in den Mund zu legen oder sie fragetechnisch auf bestimmte Antwortmöglichkeiten einzuengen.
RecruiterInnen lesen auch gerne meinen Beitrag zu werteorientiertem Recruiting.